Die Schlammlawine

Zu Hause angekommen, lässt Birgit einen lauten Jauchzer in ihre stille Wohnung hinein schallen. Nur schnell die Füße

hoch denkt sie und zur Entspannung ein weinig durch die Kanäle zappen, bevor ich mit dem Kofferpacken beginne.

Ganz spontan hat sie sich für diese vierzehntägige Busreise quer durch Spanien entschieden. Und nur deshalb, weil ihre

liebste Arbeitskollegin Gertrud sie darum gebettelt hat. Denn sie selbst hatte die Reise nicht mehr stornieren können, da

die erneute Erkrankung ihrer Mutter zu plötzlich und unerwartet aufgetreten ist. In den beiden letzten Tagen haben

Gertruds Schilderungen ihr die Entscheidung so schmackhaft gemacht, dass sie ihr sonstiges Abwägen völlig beiseite

geschoben hat und die letzten Abende eifrig in den Reiseunterlagen und den bereits von Gertrud besorgten

Reiseführern herum schmökerte.

Sie erhebt sich aus ihrem bequemen Ohrensessel, der ihr eine ideale Position zum Fernseher und dem darüber

eingebauten Aquarium bietet. Gertrud muss nun die regelmäßige Fütterung der kostbaren Exemplare übernehmen. Sehr

stolz ist Birgit auf ihre fluoreszierenden Fische und es stört sie auch nicht, dass diese einmalige Farbausstrahlung nur

durch Genmanipula-tionen möglich wurde. Besonders hat sie ihrer Freundin den dicken Willi, wie sie liebevoll den

größten Zebra-Buntbarsch getauft hat, ans Herz gelegt. Wenn Willi nach oben schwimmt heißt das, jetzt ist es allen

Artgenossen gestattet, Hunger haben zu dürfen. Er bestimmt das ganze kleine ökologische Wasserreich. Birgit hat sich

diesen Lebenswünschen angeschlossen und es ist jedes Mal eine Zeremonie für sie, wenn sie die Fische in ihren sanften

oder auch ruckartigen Bewegungen verfolgt, ihnen das Futter hinein krümelt und keine Verschmutzung durch Kot oder

Veralgung zu lässt.

Wenn ich da nur nichts falsch mache, entgegnet ihr Gertrud, als sie gehorsam die Einführung über sich ergehen lassen

muss. Wie gequält witzelt Birgit, schließlich habe ich die schreckliche Aufgabe übernommen, durch ein wunderschönes

Land reisen zu müssen. Meine Garderobe ist darauf völlig unvorbereitet und im Solarium kann ich meine empfindliche

Haut auch nicht mehr vorbräunen. Du bist schon so eine richtige Singletüte, die aus allem einen Umstand fabriziert,

neckt Gertrud zurück. Wie willst du da mal ein männliches Pendant auffischen, welches mit deiner Pedanterie und allem

Wenn und Aber vor jedem nichtigen Anlass zurecht kommt? Sei dir mal nicht so sicher meine süße Gertrud, vielleicht

verhilfst du mir durch deine Reise eher dem Zufall, als wir es beide prophezeien können.

Das Einzige was Birgit schnell noch als Schnäppchenkauf ergattert hat, ist ein Taschenkoffer mit ausklappbaren Rollen.

Als dieser ihr zufällig in einem der wöchentlichen Werbeprospekte auffiel, war sie sofort zum Kauf bereit. Zum einen

besitzt sie nur den geflochtenen Koffer aus Urzeiten, aus dem mittlerweile vereinzelt der Bast heraus pickt und zum

anderen sucht sie schon länger etwas, was sie nicht unbedingt tragen muss, aber auch nicht zu omahaft wirkt.

Was packe ich nun worauf, überlegt sie und spielt dabei mechanisch mit ihrem weichen Pferdeschwanz. Dreht ihn mal

zwischen den Fingern durch, hebt ihn leicht nach oben und fängt ihn geschickt auf, bevor er ihre Schultern wieder

bedecken kann. Na ja, was für eventuell kühle Tage bzw. Abende brauche ich auf alle Fälle, resümiert sie schon auf

das Kommende blickend. Sie entnimmt dem kiefergefärbten Bauernschrank, bei dem die Türen, egal ob beim Öffnen

oder Schließen, jedes Mal wie in einer Hitchkock Kulisse quietschen, den langen, beigen Strickpullover, der die Figur so

vorteilhaft betont und immer günstig ist für jede anstehende Feier mit mehreren Mahlzeiten. Gleichzeitig fällt ihr Blick auf

den Strohhut, den sie bisher ungetragen im Schrank lassen musste, da die damals geplante Reise nach Südafrika ins

Wasser gefallen war, als sie kurz zu vor von ihrem langjährigen Lebenspartner bitter enttäuscht wurde. Nun habe ich ihn

doch nicht umsonst erstanden und sofort probiert sie das unbenutzte Stück, um sich kokett vor dem Spiegel in

Urlaubsstimmung zu bringen. Steht mir eigentlich recht gut. Da ist es ganz vorteilhaft, dass mein Gesicht nicht zu schmal

geschnitten ist. Sie schwenkt ihre Augen zu den Stapeln mit den  kurzärmeligen Shirts herüber und sinnt weiter, dass zu

den ausgewählten langen grünen, grauen und der dreiviertellangen weißen Hose fast jede Farbe aus ihren Beständen

kombiniert werden kann.

Um Gottes Willen stutzt die emsige Packerin, ich habe kaum etwas ausgesucht und der Koffer ist bald randvoll.

Wenigstens die leichten Sandaletten und die roten Hochhackigen muss ich noch an die Seite quetschen. Den

Fotoapparat, die Papiere und den kleinen, komprimierten Reiseführer bekomme ich noch in meiner Handgepäcktasche

unter überlegt Birgit, bevor sie ihr Knie auf den Kofferdeckel aufsetzt, alles Überstehende hineinschubst und Stück für

Stück den Reißverschluss nachschiebt.

Natürlich ist sie sehr gespannt auf die Morgen beginnende Reise. Über die Route hat sie sich noch grob informieren

können, aber wer die weiteren Insassen des komfortablen Busses sein werden, ist für Birgit nicht minder aufregend.

Eigentlich bevorzugt sie den Individualtouris-mus und konnte sich bisher mit einer organisierten Reise, bei der man wohl

oder übel für die bestimmte Zeitdauer mit mehr oder weniger angenehmen, fremden Menschen klar kommen muss,

nicht anfreunden. Kennen lernen muss man alles mal, richtet sie ihren Blick progressiv nach vorn. Bestimmt begegnet

mir auch Anregendes und Befruchtendes, schließlich gehe ich davon aus, dass alle diese Reise gewählt haben, um

etwas Unbekanntes zu erleben und nicht, um an Nichtigkeiten herum zu nörgeln. Das ist wie mit dem Klischee

Ballermann auf Mallorca, welches sich letztendlich auf einen winzigen Bereich in Palma selbst begrenzt und

ansonsten ist die Insel paradiesisch schön zu erkunden.

Das diese Reise in das spanische Festland noch wesentlich abwechslungsreicher an Naturschönheiten und der

kulturelle Kolorit erheblich mannigfaltiger sein wird, versetzt Birgit in einen tiefen, traumreichen Schlaf. Wie ein

Reiseführer rollt das angelesene Programm in ihrem Unterbewusstsein ab. Zuerst die beeindruckende Überquerung der

Pyrenäen, die allein schon eine Reise wert sind. Sie wusste vorher gar nicht, dass die spanischen Pyrenäen durch drei

gewaltige Naturparks gesäumt werden. Laut ihrer Route werden sie den Ordesa y Monte Perido durchqueren.

Angekündigt als eines der herausragenden europäischen Naturereignisse wird er geprägt durch spektakuläre Canyons

und eine einzigartige Vegetation. Schon halb erwacht, fließen ihre Träumerein weg von dieser vorgestellten wilden Idylle

und dringen weiter zu den weicheren Schönheiten Zentralspaniens. Sie schnuppert fast die sanften Hügel mit den

Olivenhainen, blühenden Wiesen und großflächigen Weiden. Rinder und die weltbe-rühmten Merino Schafherden lassen

sich von diesen Naturgegebenheiten verwöhnen. Bevor sie im Traum die einmaligen Stein- und Korkeneichwälder

passiert und den namhaften Metropolen Toledo und Madrid zu strebt, lässt ihr das Erwachen keine Zeit mehr zum

Schwelgen über die mittelalterlichen Burgen, die sie auf diesem Weg begleiten.

Es bleibt ihr zwar noch Zeit, denn sie hat das Taxi rechtzeitig geordert, trotzdem ist sie erleichtert, bereits alles gepackt

zu haben und nicht in die nervende Situation zu verfallen, ich könnte ja bei der Hast etwas vergessen haben.

Der Taxifahrer ein leutseliger und doch unaufdringlicher Chauffier ist ihr beim Ausladen der neuen Koffertasche behilflich.

Da hätte ich die Rollen gar nicht nötig gehabt, geht es ihr durch den Kopf, als sie dem Fahrer mechanisch das Fahrgeld,

angereichert mit einem respektablen Trinkgeld durch das halb herunter gedrehte Autofenster in die rissige Handfläche

schüttet und bereits ihren Blick über den pikobello geputzten Reisebus und sein näheres menschliches Umfeld schweifen

lässt.

Hallo, lärmt ihr auch schon eine schrille weibliche Stimme entgegen. Birgit stärkt ihr Selbstbewusstsein, drückt den

Strohhut fest auf ihre hochgesteckten Haare und strebt auf den mitreisenden Pulk zu. Sie sind unsere letzte Mitreisende

schrillt Margot, wie sie sich sogleich bekannt macht, weiter. Kinder oder besser meine Herrschaften nehmen sie ihre

bequemen Plätze ein und schon können wir gen Süden los tuckern. Scheint ja eine Ulknudel zu sein die grelle Margot

denkt Birgit als einer nach dem anderen an der schmucken Glasfalttür vorbei in dem dunklen Busmoloch hinaufsteigt.

Ein älterer Herr im Wanderoutfit gewährt ihr mit einer wortlosen Geste galant den Vortritt und auch sein Blick, scheint

die Annahme über ihre Reiseführerin zu bestätigen.

Schnell haben sie die französische Grenze passiert. Bis dahin ist die Zeit damit vergangen, das jeder der

einundzwanzig Reisenden den anderen gemustert hat oder manche sogar bis zur Fixierung vorgedrungen sind. Birgit

bemerkt schnell, dass eine Reihe von ihnen darin geübt sein muss. Denn die Wortfetzen einzelner Gesprächsgrüppchen

lassen darauf schließen, dass der Austausch vergangener Reiserlebnisse bereits heftig in Fahrt gekommen ist. Sie selbst

sitzt fast genau in der Busmitte und kann sowohl vor als auch hinter sich, die Auswahl treffen, welches Thema und auch

welche Stimme oder Sprechweise interessanter erscheint. Dabei schaut sie unablässig aus der blank geputzten

Fensterfront zu ihrer rechten Seite und baut durch die Betrachtung der vorbeifliegenden Landschaft ihre eigene

Reisestimmung auf.

Schade denkt sie, als kleine Nieseltröpfchen unbedacht an die frischen Scheiben klatschen, ich habe doch vergessen

das ausführliche Europawetter anzusehen. So unbestimmt und spontan wie die Reise auf mich zu kam, erwarte ich mit

meiner Gepäckauswahl unbedarft die gnädige oder misslaunige Wetterlage.

Schließlich ist schon Frühherbst vernimmt sie den Kommentar eines vor ihr platzierten Mitreisenden als Reaktion  auf

die Regentropfen und man sollte sich nie gewiss sein, dass der Süden eine Garantie für harmonisches Wetter ist. Bei

diesem Stichwort haken ihre Sitznachbarn, eine älteres Ehepaar in Trachtenkleidung, ein. Unaufgefordert berichten sie

ihr, dass Spanien schon des öfteren ihr Reiseziel war und man sich nicht satt sehen könne an der Vielfalt und Tradition,

die dieses geschichtsreiche Land hervorgebracht hat. Einzig die Anbetung für die Stierkämpfe befremden sie und sie

haben auch noch keine schlüssige Erklärung gefunden, die nur das mindeste Verständnis hervorrufen könnte.

Schwärmerisch zelebrieren sie der aufmerksamen, unerfahrenen Mitreisenden, dass habe die beiden älteren Menschen

sofort gespürt, Ihr Andalusien. Birgit ist wirklich dankbar für die angenehme Erzählweise des Paares, die wie ein

eingespieltes Schauspielerpaar zum wievielten Mal auch immer, ihre Eindrücke, farbenprächtig mit Metaphern

ausgeschmückt, abspulen. Muss schon toll sein in diesem schönen, abwechslungsreichen Andalusien mit seinen

urtümlichen Eichenwäldern, weißen Kalkfelsen, lieblichen Hochplateaus und den darin eingebetteten maurischen

Dörfern aus einer längst vergessenen Zeit, fast sie das Gehörte für sich zusammen.

Birgit kann überhaupt nicht einschätzen, wie viel Stunden sie schon am Stück gefahren sind. Denn nachdem sie die

französischen Pyrenäen in strömenden Regen und bei Dunkelheit durchquert haben, ist die erste iberische Raststelle ihr

größter Stop seit Fahrtbeginn. Nur wenige Mutige stülpen sich einen Mantel über und laufen rasch nur mit einer

Plastiktüte über dem Haupt zu dem hell erleuchteten Bistro. Der Rest wählt die Sicherheitsvariante, verbleibt im Bus und

begnügt sich mit seinen verbliebenen Essenbeständen.

Besonders nervend empfindet Birgit einen Mitreisenden, dessen Geltungsbedürfnis sich durch den längeren Aufenthalt

erst richtig zu entfalten droht. Mit einer lebhaften Gestik produziert er sich sofort erkennbar für alle zum Mithören

Verurteilten, als der selbstständige Autohändler, der jeder Situation gewachsen scheint und alle Dinge im Vorhinein

bestens beurteilen kann.

Wieder begegnet sie dem Blick des älteren Herren, der ihr beim Einstieg so charmant den Vortritt gelassen hat. Und

auch jetzt ergibt das Zusammentreffen ihrer Augenpaare eine harmonische Übereinstimmung in Fragen der

Menschenkenntnis. Der Herr stellt sich als Herr Schlüter vor und nimmt neben ihr Platz, da ihre eigentlichen

Reisenachbarn den nassen Ausflug ins Bistro gewagt haben. Von ihm erfährt sie und so gründlich hat sie ihn auch

eingeschätzt, dass die Wetterlage weniger positiv verläuft, als es für Reisende wünschenswert wäre.

Wie um ihn zu widerlegen, verziehen sich mit der aufkommenden Morgendämmerung, die düsteren Wolken und

weichen einem glutroten Sonnenstand. In dieser aufheiternden Stimmung übernimmt Margot wieder die Oberhand und

frohlockt mit ihrer inzwischen schon gewohnten schrillen, akzentfreien Stimme, wenn Engel reisen...

Wir fahren mitten durch den Nationalpark Ordesa y Monte Perdido, der zum Weltkulturerbe gehört und seine

schneebedeckten Dreitausender werden uns noch in Erstaunen versetzen, prophezeit sie den gut gelaunten Gästen.

Leider haben wir nicht die Zeit für ausgedehnte Wanderungen, um geruhsam über die artenreichen Blumenwiesen zu

streifen oder in den langgezogenen Mischwäldern zu verweilen. Dafür achten sie doch bitte auf die Bergflanken, die

durch die Blüten des Igelginsters in ein leuchtendes Gelb getaucht werden. Wirklich ein wohltuender Augenschmaus

die angekündigte bewachsene Felsenlandschaft in diesem Teil des mediterran geprägten Vorgebirges sinnt Birgit nach

und registriert, dass im Laufe des Vormittags die Bewölkung wieder heftig zu genommen hat und auch die sich

biegenden flachen Büsche einen stürmischen Wind andeuten.

Sollte der sympathische Herr Schlüter leider Recht behalten, quittiert Birgit die Aussichten mit einem nachdenklichen

Stirnrunzeln. Herr Schlüter, der unweit von Birgit seinen Busplatz eingenommen hat, macht sie auf die tief fliegenden

Vögel aufmerksam. In diesem Gebiet erläutert er weiter, leben eine Vielzahl von Geierarten, so der seltene Bartgeier

oder auch die seltsamen Schmutzgeier. Vielleicht halten sie gerade Ausschau nach einem Erdentier und nicht selten ist

das hier beheimatete Murmeltier ihr armes Opfer. Ein anderer Grund könnte in dem aufziehenden, abscheulichen

Wetter begründet sein, dass sie ähnlich wie die heimatlichen Schwalben vor dem Unwetter zu Tiefflügen ansetzen. Aber

das könne er nun wirklich nicht mit Bestimmtheit behaupten, dazu sei er nicht bewandert genug, fügt Herr Schlüter

hinzu.

Wirklich beängstigend welche Wetterfront da auf sie zukommt, verdüstert sich Birgits Stimmung und ein allgemeines

leichtes Unbehagen breitet sich bei den Businsassen aus. Da ist zu vermuten, dass selbst der scheue Pyrenäenbär sich

in seine entlegenen Schlupflöcher verkriecht, kommentiert Herr Schlüter die Gemütslage auf seine Weise.

Der Regen ist bereits so dick, dass der Blick aus den großen Panoramafenstern nur einen verschwommenen

Hintergrund frei gibt. Nur unschwer können sie den Übergang aus den Kämmen der Hochgebirgslandschaft mit ihren

majestätischen Gipfeln übergehend in die Kalksteincanyons erkennen. Keiner denkt noch zurück an die saftigen grünen

Wiesen übersäht mit Enzian, Jasmin oder Narzissen. Alle beobachten nur noch gebannt, wie die immer größer

werdenden Rinnsale, die irgendwo aus dem Gestein quellen, in breiten Bahnen die schmalen Bergstraßen überströmen.

Keinem der Beobachter bleibt Zeit zum Erstarren, als sich plötzlich eine dieser zerklüfteten Steilhänge wie eine Wand

auf sie zu wälzt und der Bus zum Spielball einer Erdlawine wird. Willenlos wird er von der Straße abgedrängt und kommt

abrupt nach einer längeren Rutschphase zum Stehen. Das wilde Kreischen und die herumfliegenden Gepäckstücke

kommen in diesem Moment zur Ruhe und als Erste fast sich die vom Boden aufstehende Margot, streift ihren kurzen

Rock mit einer hastigen Bewegung glatt und fragt in die Stille des Erschütterns, ob sich jemand ernstlich verletzt habe.

Unaufhörlich prasselt der Regen und auf der rechten Seite, die nicht durch eine Felswand verdunkelt wird, können die

betroffenen Gesichter unklar erfassen, wie sich eine Flut aus Geröll und Schlamm abwärts rollt. Margot geht nach

hinten, denn von dort ist ein stöhnendes Geräusch zu vernehmen. Ein überaus dünner Herr umklammert krampfhaft mit

beiden Händen sein linkes Knie und der schmerzverzehrte Ausdruck in seinem asketischen Gesicht versucht die

Qualen nicht heraus zu schreien. Margot bückt sich und befühlt gekonnt, die verletzte Stelle. Es ist gebrochen, urteilt sie

rasch und bittet den Fahrer um einen provisorischen Stab oder Ähnliches, damit sie das gebrochene Bein schienen kann.

Nach Erledigung dieser ersten Strapaze reden die meisten Reisenden auf Margot ein, zu der sie auf Grund ihres

energischen und kontrollierten Auftretens Vertrauen gefasst haben und bitten unsinnigerweise um Aufklärung der

Situation.

Margot, die immer mehr durch ihr Charisma überzeugt, versucht die Aufgeregtheit abzuschwächen und äußert die

Vermutung, dass sie nahe an eine Felsspalte geschoben wurden und dort verhakt sind, weil sie ansonsten bei dieser

kolossalen Schlammlawine nicht zum Stehen gekommen wären. Gemeinsam mit dem Fahrer beschließt sie, die Situation

genauer in Erfahrung zu bringen. Dazu muss einer den Bus verlassen, um das Ausmaß von Draußen real einschätzen

zu können. Ein normaler Ausstieg ist nicht mehr möglich, da das Geröll die ansonsten frei rechte Seite umschlossen hat.

Der Fahrer ein ruhiger, schnauzbärtiger Spanier, der seit Jahren in Deutschland lebt, hievt sich kurz entschlossen durch

die Dachluke, bedeckt das Gesicht schützend vor dem peitschenden Regen mit seinen großen tellerförmigen Händen

und kriecht polternd über das Dach bis zur Vorderfont des Busses. Wir sind weit von der Straße abgerutscht und stecken

in einer Spalte ruft er der Reiseführerin durch das eine handbreit geöffnete Seitenfenster zu. Die Vorderräder hängen

hoffnungslos in der Luft, deuten seine gestikulierenden, klitschnassen Arme an. Er klettert die Motorhaube weiter hinab,

um wahrscheinlich auch den hinteren Bereich zu inspizieren, als erneut eine kräftiger Wasser-schwall über die bizarre

Felsformation schießt, ihn mitreißt und nur noch für Sekunden seine wild fuchtelnden Arme sichtbar sind. Margots Hände

fliegen erschrocken vors Gesicht und als sie sich nach einer Weile umdreht, beginnen die Tränen auf ihren blassen

Wangen schon wieder zu trocknen. Sie bittet alle um Ruhe und weiß doch, dass noch keiner das Geschehene

tatsächlich begreifen kann. Einzig der Autohändler kreischt hysterisch herum, dass dies nicht geschehen wäre, wenn der

Reiseunternehmer die wahrscheinlich herausgegeben Unwetterwarnungen beachtet hätte. Wie sie es sich nun weiter

vorstelle schreit er die gefasste Margot unbeherrscht an. Herr Schlüter erhebt sich, legt seine Hand auf die Schulter des

cholerischen Mannes und bittet ihn die Situation nicht noch mehr zu erschweren und alle anderen zu verunsichern.

Sicher naht bald Hilfe und sie müssten sich für diese absehbare Zeit gedulden, fügt er hinzu. Margot ergreift wieder das

Wort und resümiert, dass sie nicht weiß wie absehbar die Hilfe naht, denn gibt sie zu bedenken, um allen den

realistischen Stand zu verdeutlichen, es ist nicht klar, wann ihr Fehlen überhaupt bemerkt werden würde, da sie sich in

einem Funklochgebiet befinden und diese abgeschirmte Lage kein Mobilfunk ermöglicht. Außerdem brauchen alle nur

aus den Fenstern zu schauen und jedem wird sicherlich klar sein, dass ein Verkehr, ob auf der Strasse oder in der Luft,

bei diesen reißenden Wassermassen, dem Schlamm der alles versperrt und dem nicht aufhören wollenden Regenguss,

unmöglich machen. Wir haben aber doch nichts zu essen, zetert der Autohändler erneut und erntet nur Unmut bei den

restlichen Reisenden, die begriffen haben, dass das Gebiet im Moment unpassierbar ist und die Hoffnung auf eine

schnelle Hilfe ausgeschlossen werden muss. Wenigstens sind die meisten psychisch so erschöpft, dass sie zurück

gesunken in ihre gut gepolsterten Ohrensitze einen unruhigen Schlaf finden.

Der Regen trommelt unablässig und wütend auf das Busdach und scheint den schlummernden Reisenden einhämmern

zu wollen, ich bin noch längst nicht am Ende und der riesige Atlantik speist mich fortwährend mit Nachschub. Am

nächsten Tag unterscheiden sich die Lichtverhältnisse nur unwesentlich vom Dunkel der Nacht. Die meisten Reisenden

sind bereits arg gezeichnet von den Strapazen, der Müdigkeit, des Hungerns und der auf kommenden Kälte, die

jedem ungehindert unter die Haut kriecht. Birgit erwacht ebenso wie die Allgemeinheit, fühlt ihre steifen Glieder und

bemerkt das unruhige Flüstern ihrer Sitznachbarn. Der ältere Herr redet besänftigend auf seine Frau ein und versucht sie

zu beruhigen, dass sie sicher bald alle aus dieser katastrophalen Lage befreit werden. Immer wieder schüttelt die ältere

Dame ungläubig den Kopf und schluchzt, Adolf meine Tabletten reichen gerade noch bis heute Abend. Birgit begibt sich

vorsichtig nach vorn, um Margot über die Schwierigkeiten des älteren Paares zu unterrichten. Dankend nimmt Margot

die Information auf und lächelt selbst sehr erschöpft der Überbringern zu. Sie spürt, dass diese Mitreisende nicht zu den

Schwachen zählt und beginnt bereits zu sondieren, wer ihr eine Stütze sein könnte und wo die akutesten

Problemfälle sind. Das Gros der Reisenden sind ältere Menschen, die zwar den Vorteil haben aus der Erfahrung

vernünftiger auf Extremsituationen zu reagieren, denen es aber an der Physis mangelt, hilfreich sein zu können.

Eigentlich bin nur ich selbst, die nette ihr immer noch gegenüberstehende Frau und der unmögliche Hysteriker von der

jüngeren Generation, schließt sie leicht resignierend ihre Betrachtung ab. Wir müssen jetzt stark sein, beeilt sie sich die

junge Reisegefährtin zu ermutigen. Lassen sie uns durch die Reihen gehen, den Zustand der Einzelnen aufnehmen und

vergessen sie nicht aufmunternde Worte zu spenden. Birgit hat schon längst begonnen diese couragierte Frau zu

bewundern. Sie fühlt wie sich das Vorbild auf sie selbst überträgt und einen Elan der Hilfsbereitschaft und

Uneigennützigkeit bei ihr frei setzt. Überall begegnen sie den erschütterten Blicken, die an ihren Lippen hängen und

deren Rettungsanker sie symbolisieren. Als Birgit bei ihrem galanten Kavalier anlangt, ist nicht er es, der um Trost

bettelt, sondern sie aufmuntert, lobt und mit ihr scherzt, dass er gern mit ihr nach ihrer Missionarstätigkeit über die

berühmten Pilgerungen auf dem Jakobsweg plaudern würde. Es tut ihr gut, ihren Aufheiterungswillen reflektiert zu

bekommen. Tatsächlich sinnt sie nach, als sie bereits zur nächsten Reihe tritt, mir ist die Geschichte von diesem

Jahrhunderte alten Weg nicht unbekannt. Bis in die heutige Zeit haben sich die Menschen diesen Bußgang bewahrt,

auch wenn er heute auf Grund seiner vielen Sehenswürdigkeiten nicht von der touristischen Vermarktung

ausgeklammert wurde.

Beide Frauen kehren fast zeitgleich um und nehmen im Fahrerhaus Platz. Birgit ist es nicht ganz geheuer auf dem Sitz

des verschollen Fahrers, dessen Familie sicherlich wie immer unbekümmert ihrem Tagesablauf nachgehen wird. Aber

ihr bleibt keine Zeit für traurige Gedanken, denn energisch bittet Margot sie darum ihren Eindruck zusammen zu fassen

und die kritischen Fälle zu benennen. Alle Angesprochenen seinen zwar sehr ermattet aber die gesundheitliche Stabilität

würde ich im Moment bei keinem in Frage stellen, antwortet Birgit mit einem ernsten, verantwortungsbewussten Ton.

Gut, nimmt Margot die beruhigende Nachricht entgegen. Bei mir ist der Gang nicht so harmlos verlaufen. Sehr kritisch

müssen wir die Situation ihrer Sitznachbarin einstufen. Die ältere Dame ist abhängig von Tabletten zur regelmäßigen

Stabilisierung ihrer Blutwerte. Wenn ich ihren Mann richtig verstanden habe, besteht die Gefahr, dass es ohne die

kontinuierliche Einnahme der Medikamente zum Herzstillstand kommen kann. Ansonsten ist der Herr mit dem

gebrochenen Bein ein zäher Bursche, der jegliches Gewese um sich selbst vermeiden möchte. In der letzten Reihe gibt

es noch eine Besonderheit, d.h. der stattliche grauhaarige Herr, der dort sitzt, gibt an, eine Allergie zu erleiden, wenn er

längere Zeit keine Bewegung ausführen kann und eine hinzu kommende Platzangst potenziert diese Veranlagung. Laut

seinem Hausarzt könne dies bis zum Ersticken ausarten. Sie sehen, wir werden es nicht einfach haben die Truppe bei

Lust und Laune zu halten, holt Margot ihre letzten Humorreserven hervor. Das ist jetzt der zweite Tag, noch zwei weitere

und wir bekommen ernsthafte Probleme. Nur mit dem bisschen Regenwasser was wir auffangen und dem gehassten

Himmel abtrotzen, können wir die meisten nicht über Wasser halten. Wenn ich nur wüsste, wie es gelingen könnte Hilfe

zu signalisieren. Birgit versucht den Anflug von Resignation zu bremsen und entgegnet, mir scheint so, als seien die

Regentropfen schon dünner geworden und geben Hoffnung auf eine Lichtung der Wolkenmasse.

Bis zum Abend laufen die beiden wie professionelle Stewardessen vor und zurück, kämpfen gegen ihre eigene

Verzagtheit an und versuchen die richtigen Worte für jeden individuellen Anspruch zu finden. Jedem wird eine reichliche

Regenwasserportion zu geteilt und bei allen gaukelt der pralle Bauch ein Sättigungsgefühl vor.

Keiner der Schlafenden ahnt, dass die Nacht ein kleines Wunder vollbracht hat und die grausamen Schauerwolken in

eine andere Richtung umverteilt wurden. Die Erwachenden bemerken nicht so gleich, dass nicht nur diese freudige

Erscheinung über sie gekommen ist. Birgit schlägt immer noch unausgeruht ebenfalls erleichtert die Augen auf und

wendet sich beglückt ihrem Nachbarn zu. Sein Blick ist starr nach vorn gerichtet und seine Frau lehnt schutzsuchend

an seinem Oberarm. Wie geht es ihr, wispert sie dem ausdruckslosen Mann zu. Sie erhält keine Antwort und versucht es

mit einer gedämpften Stimme erneut. Endlich öffnet er ohne jegliche weitere Regung bedächtig die Lippen und stößt

abgehackt und monoton heraus, sie ist eingeschlafen für immer.

Birgit kann es nicht fassen und nur die gerade nach hinten kommende Margot hält sie von einem Tränenausbruch ab.

Margot muss nicht fragen, um von den verkrampften Gesichtern ablesen zu können, welches Leid erneut über diese

zusammen gewürfelte Menschengemeinschaft hereingebrochen ist. Was tun wir nur, behält sie ihre Gedanken für sich.

Intuitiv schreitet sie weiter, um das heutige Gesamtbild zu erfassen. Natürlich hat sich die Kunde vom nächtlichen Tod

rasend schnell auf alle Sitzplätze verteilt. Nach einer anfänglichen Ruhe, einer Mischung aus Schockiertheit und Ehrung

der Verstorbenen, bricht die Panik aus mehreren Reihen heraus. Wir müssen etwas tun, tönt es lautstark und ängstlich.

Beruhigen sie sich, versucht Margot die Situation unter Kontrolle zu behalten. Ich schlage vor, wir analysieren

gemeinsam den Stand und unsere Möglichkeiten. Nun gut, der Regen hat sich stark abgeschwächt und wir können in der

nächsten Zeit damit rechnen, dass keine erneuten Wassermassen sich überall ergießen. Da blieben noch die Wälle an

Schlamm und Geröll, die alles versperren. Wir selbst, das heißt unser Bus kann sich nicht von allein weg bewegen und

in dieser Lage kann er auch von nirgendwo eingesehen werden. Das vielfache stumme Nicken der Reisenden

dokumentiert die Zustimmung für die bisherigen Äußerungen Margots. Was für eine Schlussfolgerung bleibt also übrig,

fordert sie die Leidensgefährten heraus. Wir müssen uns selbst bemerkbar machen, sonst verrecken wir hier elend,

platzt ein kahlköpfiger Mann mit Tirolerhut heraus. Richtig bestätigt Margot mit einer beschwichtigenden

Handbewegung. Deshalb habe ich beschlossen, mich mit einer der beiden zur Busausrüstung gehörenden

Schwimmwesten zu versehen und ich werde versuchen zu Fuß diese Lawinen zu überwinden. Wenn ich Glück habe,

befindet sich vielleicht ganz in der Nähe eine Ortschaft, die nicht so schlimm betroffen ist wie wir. Das geht nicht, du

musst hier die Stellung halten, ruft aufgeregt Birgit dazwischen, die versehentlich gleich ins Duzen verfallen ist, ein

Ausdruck dessen, wie sympathisch ihr die Vertrautheit zu Margot geworden ist. Rasch untermauert sie ihre Bekundung.

Ich bin ebenfalls noch die Jüngste hier und kann es ebenso schaffen Hilfe zu holen. Wie wäre es mit ihnen fragt der

Mann in der Wanderbekleidung und wendet sich dem Autohändler zu. Sie scheinen mir auch noch in einem Alter mit den

jungen Damen zu sein. Missmutig schaut dieser nach unten und nuschelt, ich habe Probleme mit meinem Rücken und

könnte solche Strapazen nicht verkraften. Alle Blicke bleiben verschämt an diesem grosspurigen Mann hängen, der in

diesem Moment so jämmerlich versagt. Dann werde ich die zweite Weste nutzen und unsere mutige junge Frau

begleiten, lässt der ältere Herr gar nicht erst eine Pause aufkommen. Sie brauchen gar nicht so abwehrend drein zu

blicken junge Frau, setzt er seine Aktivität munter fort. Denken sie meine Bekleidung ist nur Show. Ich bin noch gut in

Schuss und zwei Köpfe, vier Augen und Hände können mehr erreichen, als die Hälfte.

Eine allgemeine Euphorie verbreitet sich nach dem Resignationsabsturz und alle sind durchdrungen vom Stolz auf die

beiden Wagemutigen. Einige helfen ihnen sogleich befließen die Westen anzulegen und erteilen gutmütige aber

überflüssige Ratschläge, ja auf die Wasserströme zu achten. Die beiden werden nach einander nach oben gehoben und

zwängen sich durch die schmale Dachluke. Vorsichtig nutzen sie die Steilwand an der linken Fahrzeugseite, um sich

seitlich bis auf den Boden herab zulassen, zu mindestens auf das, was davon noch übrig geblieben ist. Mit Bangen

verfolgen die Businsassen, wie das ungleiche Paar über die unebenen Haufen davon stakst.

Sie können nicht mehr erkennen, wie die beiden Retter bereits hinter dem nächsten Felsvorsprung auf die ersten wilden

Bäche stoßen und entschlossen die herausragenden Schlamminseln nutzen, um diese zu überwinden. Insgeheim ist

Birgit sehr froh, nicht allein gelassen zu sein. Und tatsächlich strahlt der erfahrene Mann eine Ruhe aus, die keine Angst

verbreitet und ihr Selbstwertgefühl hebt. Es überrascht sie auch, wie behänd er die Hindernisse meistert und da er immer

voraus geht, flößt es ihr als Nachfolgende Mut ein, ebenfalls die natürlichen Hürden überwinden zu können.

Sie müssen schon mehrere Stunden unterwegs sein, als der führende ältere Herr vorschlägt, sich eine Verschnaufpause

trotz der unwirtlichen Umgebung von Schmutz und dickflüssigem Dreck zu gönnen. Stellen sich nur mal vor, wir hätten

den klarsten blauen Himmel und die Strasse hier irgendwo würde sich wie ein lustiges wehendes Band durch die

Felsschluchten wedeln. Sehr schön ihre Halluzinationen keucht Birgit, aber eine Pause kommt mir sehr zu pass. Meinen

sie wir schaffen es noch vor Einbruch der Dunkelheit Hilfe herbei zu lotsen und wenn nicht was dann? Nur Mut junge

Frau wir sind nicht ausgezogen um den Pessimismus mit uns herum zu schleppen. Wir werden schon auf jedes Problem

eine Antwort finden, dazu haben wir schon genug hinter uns, als das uns etwas abschrecken sollte. Mit diesen letzten

Worten erhebt er sich und gibt das Zeichen weiter zu ziehen.

Das Auf und Ab der Felsen, Müllblockaden und unkontrollierten Wasserläufe nimmt kein Ende. Schweigend verbirgt

Birgit ihre Befürchtungen als die Dämmerung hereinbricht. Ihr Begleiter fühlt die Sorge und strebt zügig einem weiteren

sehr steilen Fels hinauf. An seinem Ende angekommen, hält er die Hände schützend über die Augen und selbst sehr

erleichtert, kann er in einer schwer abschätzbaren Entfernung rote, moosbegrünte Dachgiebel erkennen.

Birgit ist ebenfalls oben angelangt und ihr Begleiter lässt sie sofort an dieser bewegenden Entdeckung teilhaben.

Frohlockend setzen sie ihre Füße, die nun keine Müdigkeit mehr spüren, den Hang hinab. Zur Vorsicht mahnt der

sportliche Wanderer die übermütige Birgit. Gerade die Rutschhänge sind in dieser aus dem Gleichgewicht geratenen

Situation unberechenbar.

Sie hört kaum hin, zu froh schlägt ihr Herz und ist gefangen von dem Gedanken, den armen Zurückgebliebenen bald

Hilfe organisieren zu können. Was werden sie mit der bedauernswerten, verstorbenen Sitznachbarin gemacht haben,

denn im Bus kann sie doch nicht die ganze Zeit bleiben, kreisen ihre Gedanken weiter zurück. Sicher mussten sie sich

dazu entschließen, sie auf dem gleichen Wege durch die Luke nach Außen zu bugsieren und vielleicht ist sie dann in

einem der reißenden Bäche davon getrieben wurden.

Sie vernimmt kaum das Achtung ihres Begleiters, als sie auch schon in ein weiches, nachgiebiges Geröll tritt und ihre

Beine fortgerissen werden von dem losen Halt der großen und vor allem unzähligen kleinen Steinchen. Dieses

Partikelkonglomerat besitz die Auswirkung wie eine Spielplatzrutsche, nur dass das Ende nicht überschaubar ist. Wie

wahnsinnig läuft der ältere Herr auf dem festeren, parallelen Streifen hinterher und kann nur noch beobachten, dass der

Kiesstrom in einem breiten, schäumenden Wasserwirbel mündet. Genau wie durch eine Zentrifuge geschleudert jagt die

Unglückselige mitten in den Wasserstrudel hinein. Sie wird fortgetrieben und bleibt mit ihrer Schwimmweste an einer

Felskante hängen.

Auf der anderen Wasserseite langt der wieder mutschöpfende Begleiter auf gleicher Höhe an, hat aber keine Lösung,

wie er der jungen Frau, die sich nicht selbst heraus hangeln kann, helfen kann. Völlig verzweifelt muss er zu sehen, wie

die scharfe Steinkante, die schützende Weste Stück für Stück aufschlitzt und die Hängende sich dem Wasserstrom

wieder bedrohlich nähert. Birgit schaut zu dem Hilflosen hinüber und ruft durch das tosende Wasserrauschen hindurch,

laufen sie weiter und retten sie die anderen.

Ich finde schon eine Lösung, aber die anderen wollen wir doch beide nicht enttäuschen. Nun machen sie schon, schreit

sie ein letztes mal, als auch der letzte Faden reißt und ihr Körper den tödlichen Fluten freigeben wird.

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung für private und gewerbliche Zwecke ist nicht erlaubt.