Es ist wieder mal so weit. Die Stalltüren werden weit aufgerissen und eine fröhliche Kinderschar strömt mit
erwartungsvollen Blicken herein, macht sich breit vor den urig stinkenden Boxen und amüsiert sich über die
zurückschreckenden Vierbeiner.
Es dauert eine ganze Weile bis Theo, der Stallbursche, sich Gehör verschaffen kann und der quirlige, kindliche Übermut
durch seine Erklärungen besänftigt wird. Jedes Jahr wird zum Ende des Schuljahres ein Preisausschreiben der
regionalen Tageszeitung Die Morgen Post für alle Schulklassen der Umgebung ausgeschrieben. Es ist eine
Zusammenstellung interessanter Fragen des Alltages und darüber hinaus, um die Schüler zu einem niveauvollen
Gedankenaustausch anzuregen. Für die Gewinnerklasse wird einen Tag lang das Pferdegestüt „Haflinger“ zum
Kennenlernen und Austoben zur Verfügung gestellt. Zuvor bedarf es aber der Zusammenarbeit der Kinder, um die
kniffligen Fragen lösen zu können. Gefragt ist nicht nur ein stupides Grundwissen, sondern besonders hoch werden die
Beiträge honoriert, in denen die kreative Aktivität der Mitspieler zum Vorschein kommt. In diesem Jahr lautete das
Motto: „Wie helfe ich der Umwelt ohne auf meine Gewohnheiten verzichten zu müssen?“
Das Redakteurteam bekam Anregungen in einem Überfluss, wie es aus anderen Jahren und durch die Themenvorgabe
nicht zu erwarten war. Herr Briesewitz, der Chefredakteur fasst die positive Überraschung bei der Preisübergabe so
zusammen, dass nicht nur die Gewinner mit ihren ungewöhnlichen Ideen zum Erfolgsgaranten des Quiz wurden, sondern
man besonders stolz darauf sei, dass so viele beteiligte Klassen, der Beweis dafür sind, dass unsere Jungen und
Mädchen nicht gleichgültig in den Tag hinein leben, sondern durch die gestellten Aufgaben ihr Gefühl für Verantwortung
und Leistung dokumentiert haben. Es war nicht voraus zu sehen, mit welcher ingenieurgleichen Perfektion die
Phantasien zur Energiegewinnung, den sparsamsten Umgang mit Wasser und die Vermeidung von Verschmutzungen
auf das Thema eingegangen sind. Wie zum Beweis hebt er eines der Gewinner-modelle nach oben, welches mit seinen
horizontal und senkrecht angeordneten Laufrädern verdeutlichen sollte, wie der Naturkraft Wasser noch mehr
Energiepotenzial abgerungen werden kann.
Tom das Genie, wie er neidlos von seinen Mitschülern genannt wird, nimmt den Preis entgegen. Trotz des Trubels der
seinen Gang auf das Podest im schmucken Verlagssaal, von wo man durch die komplett mit Glas gestaltete Fensterfront
einen berauschenden Blick auf das Straßegewimmel hat, schweifen seine Gedanken ab, auf die Vorfreude des
tatsächlichen Preises. Er ist ein Pferdenarr, der es aber nicht ausleben darf. Ursache für diese Zurücknahme seiner
liebsten Beschäftigung ist der Reitunfall seines Onkels Bert. In seinen auf einem kleinen Karteikärtchen sorgfältig
notierten Dankesworten, hebt er das heraus, was der harte Kern der Klasse nach vielem Abwägen in den Vordergrund
gestellt hat.
Laut verkündet Tom den Stolz darüber, dieses anspruchsvolle Thema nicht verfehlt zu haben und betont, dass
Gewohnheit ein schwieriger Begriff ist, der in diesem Fall nicht von dem Sinn und Wort, Annehmlichkeit, getrennt
betrachtet werden kann. So sehr ihre kleinen Alternativvorschläge zur schonenden Gewinnung von Ressourcen auch
zukunftsträchtig sein mögen, ist ihnen doch klar, dass ein quantitativer Ersatz der herkömmlichen, entweder
umweltunfreundlichen oder in ihrer Ausschöpfung begrenzten Reserven, damit nicht kompensiert werden kann. Sie
appellieren an alle, die heutigen Annehmlichkeiten nicht als selbstverständlich hinzunehmen, sondern bei den eigenen
Eltern, Geschwistern anzufangen und weitergehend alle sonstigen Menschen dafür zu sensibilisieren, den Umgang mit
den Kostbarkeiten pfleglich und sinnvoll vorzunehmen. Briesewitz dankt den Geehrten nochmals für ihre Leistung und
diese beachtenswerten Worte aus dem Munde der hoffnungsvollen Zukunftsträger.
Das Gestüt hat die schönste Lage weit und breit. Außerhalb der Ortschaft liegend, erreicht man es auf einer Landstraße,
die allen verkehrstechnischen Vorschriften widerspricht, dafür aber von Bäumen beschattet wird, die dem
vorausschauenden Blick den Eindruck vermitteln, als führe man direkt auf einen grünen Tunnel zu. Auf der Fahrt mit
dem Bus, den sie aus lauter Siegesfreude mit handgemalten Bildern, natürlich zum Thema „Umgang mit der Natur“ sowie
einem großen Strauß vielfarbiger Luftballons geschmückt haben, ist nur noch die Rede davon, wie sie im Galopp über die
hügelige Landschaft rund um das Gehöft herum, auf dem Rücken rassiger Pferde dahin fegen werden. Sie überziehen
ihre Phantasie ganz bewusst und jeder gibt dem anderen noch einen Tick drauf. Nur Tom der sonstige Wortführer sitzt
verschlossen auf der hinteren Reihe und bleibt unberührt von der Aufgeregtheit seiner Kameraden. Nicht nur, dass er
wirklich ein bisschen reifer ist als das normale Maß seines Alters, beschäftigt ihn die Aussicht, sich wieder den geliebten
Tieren zu nähern, schon seit Tagen. Seine Eltern sind weniger begeistert von dieser Siegerfahrt. Nur zu schmerzlich ist
ihnen in Erinnerung, wie Onkel Bert beim scharfen Ausritt vor drei Jahren durch unglücklichen Aufprall auf einen Baum,
beim Versuch einem spielenden Mädchen auszuweichen, verletzt wurde und keine Chance mehr hat, je wieder den
Rollstuhl zu verlassen. Aber gerade Bert ist es, der nicht unversöhnlich mit dem Schicksal hadert und seinen Neffen die
Pferdeliebe ausreden würde. Im Gegenteil hält er durch seine zahlreichen Detailkenntnisse das Interesse des Jungen
wach.
Einmal durchbrach Tom bisher die Anweisungen der Eltern, sich von den Tieren fern zuhalten, als Onkel Bert ihm den
Tipp gab, dass im Storchenhof ein Fohlen zu erwarten ist. Zeitiges Aufstehen bedeutet für Tom eine schwere
Überwindung. Mit dem bevorstehenden aufregenden Ereignis im Rücken, kostet es ihn aber keine Mühe, seine Sachen
noch vor dem Aufgehen der Sonne zusammen zu raffen und leise, das Türen Knacksen vermeidend, auf den
Storchenhof zu eilen. Zum Glück kam er noch rechtzeitig, um mitzufühlen, welche Phase die Stute kurz vor der
eigentlichen Geburt zitternd und schweißtriefend durchleidet. Er wurde selbst ganz schwitzig und konnte sich nur mit
Mühe beherrschen dem Tier nicht tröstend über die blähenden Nüster zu streichen. Aber was war das für eine
Gefühlswende, als das Fohlen da war, hilflos die Beine nicht durchdrücken konnte und mit seinem Anblick auch der
eigenen Mutter die Ruhe gab, in einer erholsamen Liegeposition neue Kräfte zusammeln.
Diese Bild hat er tief in seinem Innersten bewahrt und es lebt immer dann wieder auf, wenn nur die kleinste Möglichkeit
und Rede auf die bewunderte Rasse zustande kommt. Tom ist der Einzige, der den Ausführungen des Stallburschen
konzentriert folgt und Dank der Vorkenntnisse durch Onkel Bert auch gescheite Zwischenfragen stellen kann. Vor jeder
Box bleibt Theo stehen und erzählt von den Eigenarten des jeweiligen Tieres. Sehr schnell können die jungen Zuhörer
feststellen, dass es nicht anders als bei den Menschen zu zugehen scheint. Auch hier gibt es temperamentvolle, stille,
bockige und willige Charaktere die ein Pfleger und Reiter beachten muss und fast noch mehr als beim Menschen in
seinem Umgang respektieren sollte. Denn ein Tier kann sich nicht wehren oder ungerechtfertigte Beurteilungen
revidieren, es ist auf die Zuneigung des Menschen angewiesen. Einige beginnen schon zu tuscheln und dämpfen ihre
Euphorie der tollkühnen Ausritte. Die Kinder fangen an, die Pferde zu favorisieren, auf denen sie gerne reiten würden.
Aber Theo holt sie schnell auf den Boden zurück, denn vorerst wird ihnen beigebracht, wie und womit die Tiere gefüttert
werden und wie sie durch ein sorgfältiges Striegeln ihr attraktives Äußeres beibehalten.
Während der ganzen Gruppe die regelmäßigen Stallarbeiten gezeigt werden und die ersten auch schon forsch am Werke
sind, schlendert Tom hinter bis zum Stallende, wo die Beleuchtung allmählich spärlicher wird. Halb durch die Dunkelheit
verdeckt, bemerkt er in der letzten Box, wie ein Tier seinen Kopf weit über die Halbtür hinausschiebt. Er kommt näher
und spürt die Wärme des prustenden Tieres. Auch bei diesem Licht kann er den Blick des Tieres erkennen und begreift,
dass er diesen Augenausdruck nicht sofort beschreiben, aber sicher niemals vergessen kann. Er denkt an die
Geschichte „Der alte Mann und das Meer“, die seine Eltern ihm im Urlaub, als sie vor einem Wolkenbruch in einem
kleinen Unterschutz aushalten mussten, bevor Petrus die Wolken weiter geschoben hat, so bildhaft erzählt hatten, dass
er es heute als Vergleich heranziehen kann. Genau so hat er sich die Augen des Fischers voll mit einer beunruhigenden
Vergangenheit und der Akzeptanz, dass das eigentliche Leben schon vorüber ist und nur noch die körperliche Hülle
existiert, vorgestellt.
Während alle anderen Pferde bereits aus dem Stall geführt wurden und die Prozedur der Besattelung begonnen hat,
steht Tom immer noch ganz dicht bei dem Schimmel, dessen grau-weißes Fell er jetzt durch die geöffneten Stalltüren
deutlicher erkennen kann und wird durch die Melancholie, die der alte Gaul ausstrahlt, zu einem sanften Wortgeflüster
hingerissen. Er redet unablässig, aber sehr behutsam mit seiner im Stimmbruch begriffenen Stimme auf das Tier ein.
Für ihn selbst scheint dieser intensive Umgang mit dem Pferd eine Befreiung, ein Nachholen seines unterbewussten
Defizits an der Liebe zum Tier. Er spricht zu dem Schimmel, dessen verschmutztes Namensschild er mittlerweile am
Rahmen der Boxentür entdeckt hat, darüber, warum sie heute hier sind, fragt ihn ohne an eine Antwort zu glauben bzw.
sie selbst vorweg zunehmen, warum er so unendlich traurige Augen habe und ob es daran läge, dass er den Stall schon
lange nicht mehr verlassen konnte. Tom will mehr wissen über Herkules, denn dies ist der stolze Name des Schimmels,
den man besser Grauer rufen sollte.
Theo sitzt inzwischen selbst im Sattel und hat kaum Zeit, geduldig auf die Nachfragen von Tom einzugehen. Ja es
stimmt, er kann sich selbst kaum noch erinnern, wann Herkules das letzte Mal die Luft der sie umgebenden Felder und
Wälder geschnuppert hätte. Er weißt Tom aber auch daraufhin, dass der Schimmel an einer starken Beinverletzung leide
und nicht mehr in der Lage sei herumgeführt, geschweige denn ausgeritten zu werden. Der Junge bittet ihn bei dem
bemitleidenswerten Tier bleiben zu können. Die anderen Kinder können gar nicht begreifen, dass ihr Idol sich den Spaß
entgehen lassen will. Da sie aber seinen starken Willen kennen, drängt ihn auch keiner länger. Die eintretende Stille
steigert die Anhänglichkeit, die sich bei Tom für die bedauernswerte Kreatur eingestellt hat, noch mehr. Das Pferd lässt
ihn in die Box und scheint beglückt über die ungewohnten Streichelein an seinen Flanken, Nasenrücken und dem faltig
gewordenen Hals. Seine Augen bekommen sogar einen Glanz und Tom ist ganz vernarrt in die dankbare Reaktion des
Tieres und die Verantwortung, die er in sich aufsteigen fühlt, dem Tier mehr zu geben, als die bisherigen
Vernachlässigungen, die es hilflos hat hinnehmen müssen. Er hat aus seiner Zeit, als er mit dem Reitsport begann, noch
gut im Gedächtnis, wie man ein Pferd die Zügel anlegt, sich zu ihm stellt und es an der Leine führt. Um sich herum hat
Tom alles vergessen, er will nur noch diesem Geschöpf Gutes tun. Wie selbstverständlich greift er ganz mechanisch
nach einem Pferdehalfter und beginnt sich Herkules zu nähern. Ganz überraschend lässt sich der Schimmel all diese
Dinge anlegen, die er längst vergessen haben muss, aber die Fürsorge, die ihm der Junge angedeihen lässt, beginnen
dem Warmblüter neues Leben und Zutrauen einzuhauchen.
Nur zögerlich hebt er die Hufe, als Tom ihn mit seinem beruhigenden Worten von der Stelle bewegen will. Nun kann er
es sehen, dass Tier knickt im hinteren rechten Gelenk ein und beim Versuch der Führung des Jungen zu folgen, bewegt
sich Herkules aus einer Mischung des Versuches die Behinderung zu überhüpfen bzw. das Problembein nach zu
schleifen. Es scheint dem Pferd weniger körperliche Schmerzen zu bereiten, als viel mehr seinen Stolz zu verletzen, nicht
wie in alten Tagen ungebändigt und voll überschäumender Kraft seinem Reiter und allen Umstehenden imponieren zu
können. Instinktiv reagiert Tom auf die Möglichkeiten des Tieres, es nicht zu überfordern und den Erfolg mit den
kleinsten Schritten anzusterben. Er führt es auf diese Art und Weise bis zum Stallausgang, denn an diesem schönen
Wettertag, mit einer Sonnenflut, die die gegenüberliegenden Kornfelder erstrahlen lässt, soll auch der Schimmel Kraft
tanken und Hoffnung wiederkehren fühlen.
Seit diesem Tag, der so schnell für Tom vorüberging und es ihm schwer gefallen ist in den Bus zusteigen, wo er von den
lebhaften Auswertungen der Mitschüler nichts mit bekommt, hat er sich geschworen Herkules nicht im Stich zu lassen
und die Patenschaft, die er bei Theo erfleht hat, einzuhalten. In den nächsten Tagen ist er nach Schulende für seine
Eltern zwar auf dem Fußballplatz oder mit Kumpels unterwegs, aber tatsächlich saust er mit seinem blitzblanken
Rennrad die Baumallee hinunter zum Gestüt. Selbst Theo, der der Anhänglichkeit des Jungen zuerst skeptisch
gegenüber steht, kann spüren wie das Zusammentreffen zwischen Tom und dem armseligen Tier zu einer beiderseitigen
Freudenbekundung wird. Herkules bäumt sein Haupt auf wie in vergangenen stolzen Tagen und seine Augen spiegeln
längst nicht mehr den Trübsinn wider, den es aus der Zeit der Vernachlässigung aufgebürdet bekommen hat.
Auch über Tom ist ein Frohsinn gezogen, der seine Kindlichkeit wieder aufleben lässt und ihn nicht mehr zu dem
vorreifen, übervernünftigen Jungen abstempelt. Zu Hause bemerkt seine Mutter diesen Gemüts- und
Temperamentwechsel auch mit Wohlwollen, aber einem nicht Erklären können des Grundes.
Sein Vater der meist erst sehr spät von der Arbeit nach Hause kommen kann, eigentlich dann, wenn der Abendtisch
gedeckt ist, jeden Tag fällt Mutter eine andere schmackhafte Mahlzeit ein, um ihre verwöhnten Männer zufrieden zu
stellen, kommt ausgerechnet diese Woche früher als gewöhnlich. Da er Tom noch nicht zu Hause antrifft, gibt er seiner
Frau den gewohnten Begrüßungskuss mit der Bemerkung, schnell mal zum Sportplatz rüber zu schauen, wie sich ihr
Prachtjunge beim Training anstelle. Dort angekommen, grast sein Auge mehrmals den Platz ab, aber Tom kann er
zwischen den anderen bekannten Gesichtern nicht entdecken. Übungsleiter Herr Michel am Rande des Spielfeldes
stehend, bemerkt Toms Vater und ruft ihm zu, deinen Sohnemann haben wir schon lange nicht mehr gesehen, der fährt
doch immer in Richtung Gestüt.
Wieder zu Hause angekommen, bemerkt er schon bei der Toreinfahrt Toms Rennrad, eine besondere
Geburtstagsbelohnung, weil sie seine schulische Dominanz auch mal materiell anerkennen wollten. Im Flur hängt er
Toms Jacke ab, hält sie sich unter die Nase und als aufgewachsener Landwirtssohn, fällt es ihm nicht schwer, den
Verdacht bestätigt zu bekommen. Natürlich hat er Toms Pferdevorliebe immer verstanden, aber als sein eigener Bruder
durch den Unfall fast sein Leben einbüßte und nur noch mit der Behinderung weiterleben kann, hat er seine weiche Hülle
mit dem Vorsatz umpanzert, dies darf meinem Sohn nicht auch noch geschehen.
Ahnungslos und freudig begrüßt Tom seinen Vater, der für ihn in allen Dingen ein Vorbild ist und der sich trotz seines
angespannten Berufes immer Zeit für seine wissbegierigen Fragen genommen hat und die Wochenenden mit seinen
abwechslungsreichen Ideen bereicherte. Wenn sein Vater mit ruhiger, gefasster Stimme Entscheidungen ausspricht,
dann sind sie unumstößliches Gesetz.
Genau diesen Ton hebt der Vater an, nachdem sie am alten, dickbohligen Bauerntisch aus zwei Generationen vor Vater
Platz genommen haben. Er fragt Tom ohne Umschweife, wieso er ihnen seine Ausflüge zum Gestüt verschwiegen hat
und ob er vergessen hat, warum dies ein Tabu für ihn ist. Tom weiß, langes Herumdrucksen oder gar Verschweigen
wäre nur ein kurzfristiger Aufschub. Nicht ohne seine Bewegung, die in ihm allein schon durch die Erinnerung an
Herkules verursacht wird, berichtet er haarklein, wie sich alles seit der Siegerfahrt entwickelt hat und welche
Empfindungen ihn bewegen. Ergänzend versucht er noch die positive Entwicklung des Schimmels als letzte
Überzeugungswaffe vorzubringen, aber Vater winkt schon ab und Mutter hat ihm den Entscheidungsvortritt gelassen.
Vater erkennt sehr wohl und dazu liebt er seinen Sprössling zu sehr, dass er nicht verordnen kann, sondern er will Tom
überzeugen. Er schlägt Tom vor, da sie am Samstag so wie so zu Onkel Bert fahren wollen, die Sache bei dieser
Gelegenheit nochmals zu beleuchten.
Als es soweit ist, bittet Vater seinen Bruder darum, Tom zu verdeutlichen, zu welcher unberechenbaren Gefahr der
Umgang mit Pferden werden kann und er soll auch nicht beschönigen, wie sehr er trotz seines fröhlichen Gemütes an
den Unfallfolgen leide. Bert ist nicht ganz der gleiche Typ, wie sein Bruder. Er hat sich immer für den Spaß am Leben
ausgesprochen und dass man diesen vor allem dann erreicht, wenn nicht alles vorher zig mal bedacht werden muss.
Natürlich akzeptiert er die Sorge um Tom, begreift aber auch das unbändige Verlangen des Jungen. In dem Gespräch
der drei Männer untereinander, schlägt er zu aller Überraschung vor, sich dass Problem doch mal vor Ort anzusehen,
vielleicht gelingt es dann jede Ansicht deutlicher vertreten zu können.
Auf dem Weg zum Gestüt genießt jeder, die heimatliche Idylle aus Feldern, Hügeln bewachsen mit Birkenwäldchen und
den romantischen Katen, die wie beliebig verstreute Puzzelteile, sich mal am Waldrand anschmiegen, auf einem Hügel
thronen oder in einer Senke verschwinden. Im Gestüt angekommen, spürt vor allem Tom die knisternde Spannung, die
den Daumen für seinen Liebling entweder streckt oder nach Unten weist. Auch Onkel Bert scheint es nicht anders zu
ergehen, denn nach seinem Unfall ist er Pferden noch nie wieder so nah gekommen. Einzig der Vater behält eine
unbeteiligte Gelassenheit, da er auch gar keine andere Lösung als die seinige erwartet.
Tom geht in den Stall vor, die anderen warten. Herkules wiehert bereits begeistert nachdem er Tom wittert und seinen
raschen Schritt verfolgt. In dieser kurzen Zeit, in der Tom täglich sein Bein gesalbt hat und durch zähe Gehversuche die
Muskeln gekräftigt wurden, ist Herkules nicht nur äußerlich, sondern auch in seinem Gang zu einer wiedererwachten,
respektablen Pferdegestalt geworden.
Als beide heraustreten wendet, das Pferd seinen Kopf, als müsste es die Lichtstrahlen erst verdauen. Beim
Zurückschwenken des Halses bleibt es unvermittelt und wie angewurzelt vor Berts Rollstuhl stehen. Beide schauen sich
tief in die Augen und wissen, dass sie sich wieder erkannt haben. Herkules senkt sein Haupt weit nach unten, wie um
nicht länger den Blick von Bert ertragen zu müssen. Bert spricht ganz ruhig, er war es, auf dem ich an diesem
furchtbaren Tag geritten bin. Die Scheu des Tieres vermittelt den Eindruck, als fühle sich das Pferd schuldig für Berts
Schicksal. Alle drei können sich dieser instinktiven Tierhaltung nicht ohne Rührung entziehen. Bert fasst sich als erster
wieder und äußert, dass er sehr froh darüber ist, dass Tom dieses Lebewesen aus seinem Leid herausgeführt hat, denn
niemanden trifft die Schuld und keiner hat es unabhängig davon verdient körperliche Behinderung zu ertragen. Er gönne
dem Tier von ganzem Herzen das, was ihm selbst unmöglich ist, wie in früheren Tagen unabhängig und frei gehen zu
können. Überglücklich stürzt Tom auf seinen Onkel zu und auch sein Vater kann nicht umhin, dieses glückliche Knäuel
mit seinen Armen solidarisch zu umspannen.