Endlich ist es so weit. Heute ist der vierzehnte Juli, der Tag, den Julia schon seit längerer Zeit sehnlichst herbei wünscht.
Sie verübelt es Rolf auch nicht, dass er diesen besondern Tag schon des öfteren in seiner Schusseligkeit vergessen hat.
Denn sie mag auch die Empfindungen für ihn, dass sie gelernt hat seine Fehlerchen zu lieben und damit, auf ihre eigene,
verständnisvolle Weise umzugehen. Ganz ihm Gegensatz zu seinem Faible für die Numismatik, ist er in anderen Dingen
eher schluderig und bezeichnet es, wenn er darauf angesprochen wird, mit einem um Verzeihung flehenden Lächeln
als seine persönliche Note.
Nur bei seinen Münzen achtet er auf das Peinlichste darauf, dass jedes Exemplar genau an der richtigen Stelle
eingeordnet wird und mit einer akribischen Geduld und Genauigkeit die zutreffende Bezeichnung erhält. Sein Großvater
hat ihm nicht nur eine umfangreiche Sammlung hinterlassen, sondern mit einem aus der Erfahrung entstandenen
Einfühlungs-vermögen Rolfs Interesse aufgebaut, eine Form gegeben und ihm Selbstständigkeit vermittelt.
Vor zehn Jahren hat sie dem Mann ihr Jawort gegeben, dem sie auch heute noch mit einem ungeminderten Gefühl der
Zärtlichkeit und des Stolzes entgegen tritt. Sie gehört nicht zu den Frauen, die sich zwischen mehreren Anbetern
entscheiden muss oder denen, die unablässig mit einem Zwangsgefühl immer neue Proben heraus fordern, um
letztendlich in ihrer Ungewissheit nicht vorwärts zu kommen. Sie hat nicht den spontanen Knall zweier aufeinander zu
fliegender Herzen erlebt. Es war eher die ruhige, sachliche Art, die sie zueinander finden lies. Sie war damals als
Praktikantin in das Optikergeschäft von Rolfs Mutter gekommen. Rolf musste zu dieser Zeit noch ein halbes Jahr beim
Bund absolvieren und sie sahen sich das erstemal, als er über die Osterwoche Urlaub bekam.
In seiner Uniform mit den extrem kurz geschnittenen Haaren wirkte er sehr bubenhaft und sein Äußeres lies weniger auf
reichliche Mädchenerfahrungen schließen. Die Beachtung, die sie sich gegenseitig gönnten, war beiderseitig spärlich,
denn auch Julia mit ihrem etwas vollmondigen Gesicht ist nicht die Frau des ersten Eindrucks. Später versicherte Rolf
ihr, wie blind er gewesen sein muss, ihren braunen Mandelaugen nicht sofort seine ganze Aufmerksamkeit gewidmet zu
haben.
Rolfs Mutter hatte die Eigenschaften ihrer neuen Praktikantin schon bald zu schätzen gelernt und ihre wachsende
Sympathie brachte die beiden auch im persönlichen Umgang näher. Julia wurde in die Geschichte der Familie
eingeweiht, dass das Geschäft im kommenden Jahr sein hundertfünfzigstes Bestehen feiert, sie jetzt bereits nach einer
Idee sucht, um dem Anlass einen ehrenvollen Rahmen zu geben und Herbert, Rolfs Vater, der vor fünf Jahren nach
einem kurzen Krebsleiden verschieden ist, wäre bestimmt etwas Würdiges für alle Bezugspersonen und den treuen
Kundenstamm eingefallen. Wenn sie von Herbert spricht, merkt Julia, dass es ein tiefer, schmerzlicher und auch nicht
vollständig überwindbarer Verlust für sie gewesen sein muss, diesen geselligen und überall gern empfangenen Mann
nicht mehr an ihrer Seite zu wissen. Sie ist froh, dass ihr einziges Kind den Traditionen treu bleibt und sie eines Tages
den Druck des Geschäfterfolges auf ihn übertragen kann. Sie übt ihren Beruf mit Leidenschaft aus, aber sie spürt den
Unterschied zu der Zeit ihres Großvaters, des Gründers, als im Geschäft noch eine Besinnlichkeit die Luft erfüllte und
Großvater und Großmutter an dem kleinen Rokokotischen gleich hinter der linken Schaufensterauslage mit so
manchem Kunden bei einem Kaffeeplausch saßen und nicht hastig Brille um Brille mit dem Kunden durchhasten
mussten. Besonders schön war der Blick aus dem Fenster, als die erst Bahn voller Stolz und mit lautem Gebimmel über
den Postplatz fuhr und der Schaffner mit seiner prunkvollen Dienstuniform gewichtig jeden einsteigenden Fahrgast
begrüßte.
Inzwischen hat sich auch im Inneren einiges geändert. Die Schaukästen haben sich erheblich vergrößert, um wenigstens
ein Teil des überreichlichen Angebotes an Gestellen sowohl für Sie als auch Ihn aufnehmen zu können. Auch die
Spezialrubriken für den Radsport, Skifahren oder auch das Sonnenbrillensortiment sind mit der Zeit dazu gekommen.
Dafür haben die wuchtigen Sitzgelegenheiten und reichlich verzierten Spiegel einer nüchternen Eleganz Platz machen
müssen. So gar den kleinen Rolf hatten sie bei der damaligen Auswahl um seine Meinung befragt. Scherzhaft hatte
Herbert ihm Mut zu gesprochen, dass es ihm ja gefallen müsste als zukünftigem Boss und er hinterher nicht darüber
Beschwerde einlegen könne. Der Vierzehnjährige verbarg nur mit Mühe seinen Stolz und die Wichtigkeit, die ihm
beigemessen wurde. Sein Vater war ein wunderbarer, unauffälligen Motivator, der nie das Gefühl des Diktates
aufkommen ließ.
Durch die Preisgabe der familiären Besonderheiten und die anschauliche Wissensvermittlung war es ein Leichtes für
Julia sich nicht nur wohl, sondern so gar heimisch zu fühlen. Gäbe es eine Gerechtigkeit in der Schicksalsverteilung
müsste man diese Entwicklung lobpreisen, denn Julia, ein frühes Waisenkind, musste die letzten sechs Jahre, da auch
keine anderen Verwandtschaftsmöglichkeiten gegeben waren, im Internat verbringen. Sie ist dort nie besonders
aufgefallen, denn auch in problematischen Situationen vermeidet sie Heftigkeit und weicht auf sachliche Distanz aus.
Als Rolf nach dem Ende der Armeezeit in das Geschäft zurück kam, schien sich an den Abläufen nicht zu ändern. Rolfs
Mutter hatte sich auf Grund der positiv entwickelten Geschäftszahlen entschieden, Julia in eine Festanstellung zu
übernehmen. Sie arbeiteten in einem harmonischen Stil miteinander, wie er nicht sehr oft anzutreffen ist und in der
hektischen, auf ständige Veränderungen drängenden Welt kaum praktiziert wird. Besonders entspannend waren die
Frühstücksrunden, wenn wie Rolfs Mutter meinte, er gut drauf war. Rolf hatte einen herrlichen trockenen Humor, bei
dem Julias spektakulären Mandeläugchen bis zum Tränenausbruch gereizt wurden. Letztendlich kann keiner von den
Dreien nachvollziehen, wann denn das Unvermeidliche zwischen Julia und Rolf begonnen hat und schließlich ein
glückliches Ende nahm.
Tatsächlich hat Rolf auch diesmal nicht an den Ehrentag gedacht. In anderen Jahren gab ihm seine Mutter immer noch
Beihilfe, aber sie war im vergangenen Herbst an den Bodensee gezogen und teilt sich dort ein Appartement mit einer
alten Schulfreundin. Wie sie schrieb, ist es ein unbeschreibliches Gefühl auf den See zu schauen, die vielen
Passagiereschiffe beim Anlegen zu beobachten, wie aus ihnen die Touristen herausquellen und wenn sie davon genug
hat, schweift der Blick weiter auf die imposanten und zu jeder Jahreszeit mit Schnee umhüllten Alpengletscher.
Sebastian, ihr einziger Enkel, hat sie im Sommer besucht und durch seine waaghalsigen Mountenbikekunststücke in
helle Aufregung versetzt.
Für Rolf gibt es ganz andere realistische Gründe, die ihm gestatten in seiner sonstigen Konzentration nachlässig zu sein.
Nach der kompletten Geschäftsübernahme und der Herausnahme von Mutters Anteil hat sich die Lage aus einer
Vielzahl auch unbeeinflussbarer Gründe dramatisch verschlechtert. Zum einen Teil ist das Risiko auf neue Produktlinien
umzusteigen nicht aufgegangen und der Preisdruck durch eröffnete Optikerabteilungen in den beiden Großkaufhäusern
der Stadt, haben zu einer defizitären Lage im Geschäft geführt, für die Rolf keine aussichtsreichen Alternativen zur
Verfügung stehen. Seine Mentalität, nur mit sich selbst klar zu kommen, erleichtert die Lösung nicht und zwingt ihn zu
ungewöhnlichen Gedankengängen. Inzwischen hat er die Grenze des gesunden Maßes längst überschritten. Unmöglich
ist ihm das Eingeständnis gegenüber seiner Familie, die er vor jeder Beunruhigung glaubt schützen zu müssen. Diese
männliche Rolle, die heute weitestgehend als Unvernunft und überholt betrachtet wird, ist bei ihm aus den
Familientraditionen und dem Tagebuch seines Großvaters, welches er mit wissendem Blick von seiner Mutter zum
achtzehnten Geburtstag in die Hände gelegt bekommen hat, tief verwurzelt.
Anfänglich klapperte er noch alle Kreditabteilungen der hiesigen Banken durch, um jedes Mal den höflichen mit Bedauern
ausgedrückten Bescheid der mangelnden Sicherheit als abschlägige Antwort übermittelt zu bekommen. Bei einer dieser
Kanossagänge, als er in einem jener zum Warten so unangenehmen Büros ausharren musste, verfolgte er, da die
Zwischentür zum Nachbarbüro halb geöffnet war, wie der regelmäßige Abtransport des Bargeldes von-statten ging.
Das war der entscheidende Anstoß, um seine geistige Schwankung, wo das Gesetz nicht mehr als das alleinige Maß
akzeptiert wird, überschwappen zu lassen. Er schlingerte bzw. manövrierte sich in eine Situation, die illegales Handeln
als Selbstverständlichkeit ansieht und die Folgen solcher Vorstellungen außer Acht lässt.
Seit diesem Zeitpunkt nutzt er jede Möglichkeit sich mit dem Gedankenspiel des Banküberfall zu beschäftigen. Immer
konkreter werden seine Nachforschungen, was zu einem sicheren Verlauf der Aktion benötigt wird. Schlaf findet Rolf
kaum noch. Immer wenn Julia bei ihrer Bettlektüre das Buch sinken lässt und bereits fest schlummert, nimmt er es sanft
aus ihren Händen, versucht selbst etwas darin zu blättern, aber ohne tatsächlich die Konzentration aufbringen zu
können.. Selbst wenn er die Nachttischlampen ausgeknipst hat, bleiben seine Augen offen mit der steigenden Hoffnung,
es kann doch nicht schiefgehen und die Anspannung würde durch den kühnen Plan erlöst werden.
Sehr oft ist Rolf jetzt in der Stadt unterwegs auf der Suche nach den geeignetsten Hilfsmitteln, die laut seinen
Recherchen erforderlich sind. Im größten Kaufhaus, wo es ihm am unverdächtigsten erscheint, probiert er dutzende
Mütze aus, ob sie auch genug verdecken und von Innen trotzdem noch alles erkennbar ist. In der Mantelabteilung
konzentriert sich seine Suche auf besonders farbunauffällige Modelle ohne viel Firlefanz. Ebenso problematisch erweist
sich die Auswahl einer Tasche mit der Voraussetzung der Geldaufnahme und gleichzeitiger Handlichkeit. Alle mit so viel
Überlegung auserwählten Überfallutensilien versteckt Rolf hinterm Kaninchenbau.
Wenn Rolf rechtzeitig nach Hause kommt, begleitet er Sebastian gern zum Füttern. Sebastian hat sein Kaninchen
Schwarzer Panther genannt. So benimmt es sich aber nicht. Eher ist es als drollig einzustufen, denn wenn sich die
Käfigtür, die reichlich mit seinen Knabberspuren übersäht ist, öffnet, beginnt er sofort alles Eindringende zu
beschnuppern. Jede Futter spendende Handbewegung wird von seinem haarigen Schnäuzchen bekitzelt und er krabbelt
auf beiden Hinterpfoten stehend bis zur Schulter hoch, wie um ins Ohr zu betteln nach Möhrchen, Haferflocken und
harten Brotkanten. Noch lieber wäre Sebastian aber eine richtige Raubkatze. Seine Affenliebe zu dieser Gattung ist
schon beängstigend. In jeder Stadt die sie besuchen, ist der Tierpark ein Muss. Sebastian lässt ihnen kaum Zeit zum
Eintritt bezahlen und rennt auch schon, wie von der Tarantel gestochen in Richtung Raubtierhaus. Dort ist es sein
liebstes Vergnügen sofort alle Käfigbewohner mit Kosenamen, wie brauner Eckzahn oder pumelschwänziger Feigling
zu titulieren.
Rolfs größtes Beschaffungsproblem ist eine geeignete Waffe. Er hat zwar schon im Internet Möglichkeiten erkundet und
dass es im osteuropäischen Raum, aber auch den Beneluxstaaten kein richtiges Hindernis zum Waffenerwerb aller hier
erlaubten und vor allem verbotenen Kaliber gibt. Aber diese letzte Scheu hat er sich bewahrt, dass es doch auch mit den
wie echt nachgebildeten Schreckschusswaffen möglich sein muss, seinen kleinen Überfall wirkungsvoll durch stehen zu
können. Außerdem ist ihm bisher keine Ausrede für Julia eingefallen, um wenigstens für einen Tag diese komplizierte
Anschaffung zu verfolgen.
Julia kommt nach Hause, sie hat richtig vermutet, kein überdimensioniertes Blumenbukett begrüßt sie auf der immer mit
allem möglichen Krimskram überladenen Eingangskommode. Dafür stutzt Rolf bei ihrem Anblick. Bei aller Nervosität die
ihn derzeit begleitet, schaut er sich seine Julia doch zu gern an. Frisur ist neu und das Kostüm kenne ich auch nicht,
denkt er für sich. Habe ich was vergessen. Sie errät seine Überlegungen und flüstert dankbar, du hast es nicht
vergessen mein Schatz, ich gratuliere dir und wünsche uns die Ewigkeit. Oh je auch das noch, flüchtet sich Rolf ins
Unausgesprochene weiter. Julia lässt im keine Zeit und flötet Rolfilein du musst dich beeilen, wir müssen in einer halben
Stunde starten. Sie hat für den Abend wohlweislich die Schwäche Rolfs einkalkulierend einen Tisch im Ringhotel, der
Ausnahmegastronomie der Stadt, reserviert.
Beim Anblick von Julia gelingt es Rolf endlich mal wieder abzuschalten und er benutzt den guten alten William Somerset
Maugham um ihr das Zitat „Julia du bist zauberhaft“ vor dem Schließen der Wohnungstür zu zuflüstern. Sie fühlt es, es
wird der Abend, den sie sich vorgestellt hat Sie werden wirklich an einen reizvollen Platz geführt, die einzige Nische, die
von mit Wein berankten Raumteilern umsäumt wird. Wie für ein richtiges Liebespaar raunt sie Rolf zu und ihre Wangen
berühren sich in der gewohnten Vertrautheit. Es ist ein Abend an dem auch Rolf seine Betrübtheit vor ihr verstecken
möchte und am liebsten selbst vergessen würde. Sie plaudern so herzhaft und auch sein charmanter Humor fließt immer
wieder ein. Schon leicht beschwipst kramen sie in der Vergangenheit. Julia hat einige Urlaubsbilder zusammengestellt
und so fällt es ihnen leicht, die kleinste Episode aus der Schublade hervor zu zaubern. Als Rolf die Rechnung verlangt,
kullert Julia mit den Mandelaugen und platzt heraus, ich habe noch eine Überraschung. Wieso meint Rolf. Ein Brief aus
Kanada mit einem Flugticket nach Toronto. Sie erntet nur einen unverständlichen Blick.
Es ist ein Brief von einem Anwalt, der mir mitteilt und mich bittet, dass ich wegen dringender Familienangelegenheiten,
nach Toronto kommen soll. Erklären können sie es sich beide nicht, da Julia von keinen Verwandten ob hier oder
anderswo Kenntnis hat. Rolf bohrt auch nicht tiefer, denn seine Gedanken sind rückfällig geworden und eilen zu seinem
Hauptthema zurück. Das ist die Gelegenheit, ungestört auch das letzte Detail, die Waffe, für sein Vorhaben zu
beschaffen.
In den ersten Tagen hat er durch Julias Abwesenheit so viel im Geschäft um die Ohren und auch Sebastian kommt
allabendlich mit unaufschiebbaren Angelegenheiten, dass er beschließt am Wochenende endgültig zum polnischen
Flohmarkt zu fahren. Freitagabend legte er sich alles Nötige, extra neue Jeans, Hemd und Jacke sollen ihn vor
Wiedererkennung schützen, zu recht und auch die Tausend Euro in kleinen Noten verstaut er sicher im Brustbeutel. Er
beschließt eher ins Bett zu gehen, um gleich früh noch während des Aufbaus der Stände möglichst unauffällig Personen
ansprechen zu können. Sinnend betrachtet er sich Zähne putzend im Spiegel und denkt, alter Junge wird schon klar
gehen. Das Telefon klingelt. Ärgerlich unterbricht er und tropft im Bad herum. Es ist Julia. Weißt du wie spät es ist,
erwidert Rolf die sehnsüchtige Begrüßung. Tut mir leid Schatz ich habe nicht auf die Zeitverschiebung geachtet und
dachte du würdest noch die neuen Münzen einordnen. Besänftigt murmelt er, nun berichte mal. Darauf hat Julia nur
gewartet, wie entfesselt will sie alle Eindrücke gleichzeitig zu Gehör bringen. Er kanalisiert heraus, dass Kanada wirklich
das unbeschreibliche, urwüchsige und unkomplizierte Land ist, von dem alle Dagewesenen schwärmen und die Kataloge
dies mit malerischen Aufnahmen untermauern. Tatsächlich gab es hier eine Halbschwester ihrer Mutter, die in ihrem
Testament festgelegt hat, dass in Deutschland nach ihrem Ableben nach Angehörigen gesucht wird und sie ist die
Einzige. Diese Halbtante ist schon in jungen Jahren nach Kanada ausgewandert, setzt Julia ihren Bericht fort. Sie muss
eine wunderschöne Frau mit einer außergewöhnlich proportionierten, grazilen Figur gewesen sein. Wie ein Märchen
klingt die Fortführung von Julias Schilderung. Elisabeth, so hieß die Halbschwester, fand schon bald nach ihrer Ankunft
eine Anstellung in einem Schnellimbiss. Sie überstrahlte die anderen adretten Mädchen durch ihre Flinkheit und
Geschmeidigkeit. Ein damals schon ins ganz Nordamerika bekannter Bildhauer, war ein häufiger Gast des Imbiss. Er
übersah am allerwenigsten die Außergewöhnlichkeit Elisabeths. So war es nur eine Frage der Zeit, dass er sie Ansprach
bei ihm als Model zu arbeiten, dass daraus die große Liebe wurde, haben beide bei der Zusammenarbeit schnell
herausgefunden und sich in einer langen, treuen Leidenschaft bewahrt. Ich muss unbedingt eine der Skulpturen, die noch
in dem Haus mitten am Bergsee aufbewahrt sind mitbringen. Rolf du kannst dir nicht vorstellen, welches Vermögen die
beiden und später sie, die doch fast zwanzig Jahre jünger als der Bildhauer war, besaßen. Der Vermögensverwalter hat
mir alles aus dem Testament vorgelesen und erklärt. Schatz wir sind reich. Noch bevor sie dazu kommt, die Erbsumme
zu nennen, bricht seine ganze angestaute Scham in einem Schluchzen aus ihm heraus. Der Hörer rutscht über die
Sessellehne und baumelt wie an einer Spirale drehend über dem birkenfarbenen Parkett. Es hallt nur noch Julias, Rolf
hörst du mich, durch den hilflos hin und her pendelnden Hörer.